Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte – in den Ohren des spätantiken Hörers gleichsam die Pointe –, bildet der Perlenverkauf, der hier aber anders als in der Realität verläuft und eine überraschende Wendung enthält.
Zunächst sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Perlen von Tauchern aus dem Meer geholt, an Kaufleute weitergereicht und von diesen wiederum an die Käufer vertrieben wurden. Dies scheint jedenfalls Allgemeinwissen gewesen zu sein, wie es zum Beispiel einige Psalmen aus dem gewaltigen poetischen Werk von Ephräm dem Syrer (4. Jh.) nahelegen.
Über die Perlen, die sehr kostbar und daher natürlich nur von einer kleinen und reichen Oberschicht erworben werden konnten, schrieb er fünf regelrechte Loblieder. Die Perle wird darin zum Sinnbild für das Himmelreich oder Christus, in ihrer Schönheit lässt sich Göttliches erblicken. Perlentaucher, die nach kurzer Zeit wieder auftauchen müssen, stellen ein Gleichnis dafür dar, dass der Mensch die Tiefe der Gottheit nicht lange zu ertragen vermag. In zahlreichen anderen Schriften, seien es christliche, gnostische oder manichäische diente die Perle als Bild für ein kostbarstes Gut, einen unermesslich großen immateriellen Schatz.
Die Propagierung der eigenen Lehre mit dem Mittel der Literatur, gerade auch der Poesie, die Erklärung von Glaubensinhalten oder komplizierten Sachverhalten unter Anwendung von Allegorien und Vergleichen gehörte zum Repertoire einer Zeit, in der sich Religionen und Glaubensrichtungen um die Vorherrschaft stritten.
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